Meine Geschichte steht exemplarisch für viele junge Frauen, die unter dem Druck der strukturellen Verachtung von dicken Menschen stehen und leiden. Dick zu sein ist heute nicht einfach nur ein Zustand, es ist ein Urteil. Über unsere Gesundheit, unsere Moral und unseren Trieb.
Ich war vor meiner Magersucht übergewichtig und jetzt bin ich es wieder. Man kann sagen, mein Leben war bisher von meinem Gewicht geprägt. In der Schulzeit als Mobbingopfer aufgrund meines Gewichts, danach als magersüchtige Studentin und jetzt als Dickenaktivistin. Ich will mich dafür einsetzen, dass "Du bist ja fett" nicht mehr zu den schlimmsten Beleidigungen zählt, die man zu hören bekommt.
Dickenaktivismus, der vor allem von Blogs und Internetinitiativen ausgeht (wie z.B. der
ARGE Dicke Weiber), ist eine großartige Sache. Es geht darum, Menschen ein positives Selbstbild zu vermitteln, anstatt sie zu verurteilen. Dass man nicht mehr als abnormal und krank abgestempelt wird und man sich nicht mehr traut, in die Öffentlichkeit zu gehen.
Um es klar zu machen: Dicke Menschen sind einer Vielzahl von Abgriffen ausgesetzt, die in keinster Weise begründet sind. Nachteile im Berufsleben, Gesundheitsvorschriften, "Schönheits"-Operationen, Schönheitsidealpropaganda, Scham und Hemmungen. Viele Vorurteile über dicke Menschen basieren auf falschen Tatsachen und dem unbändigen Willen der Menschheit, anderen Leuten vorschreiben zu wollen, wie man zu leben hat.
Ich habe es als Teenager nicht ausgehalten, dass ich aufgrund meines Aussehens beschimpft wurde, und auch heute, um ein vielfaches stärker, traue ich mich kaum, in der Öffentlichkeit zu essen. Ich traue mich kaum, zum Arzt zu gehen, weil selbst bei einem Schnupfen der wohlgemeinte Ratschlag kommt, ich könne doch ein bisschen abnehmen.
Dieser Vorschlag kommt nicht nur von Ärzten, sondern gerne auch von Leuten, die sich einfach nur "Sorgen um meine Gesundheit machen". Ich meine...was? Nur indem man mich anschaut, kann man keine Rückschlüsse auf meine Gesundheit ziehen! Solchen Menschen geht es natürlich nicht um die Gesundheit. Einer wildfremden Person ist meine Gesundheit vermutlich relativ egal. Solche Personen wollen sich selbst besser fühlen. Und wer ist dazu besser geeignet als ein vermeintlich disziplinloser, haltloser, ungesunder dicker Mensch?
Allgemein leben wir einer Kultur der Schnelligkeit und der Kontrolle. Wir müssen immer perfekter werden, immer kontrollierter, immer fitter, immer gesünder. Immer produktiver. Max Weber war der Ansicht, die Kultur des Protestantismus, die Zügellosigkeit bestraft und Sparsamkeit, Fleiss und Selbstkontrolle fördert, hat den Kapitalismus erst möglich gemacht. Nur durch diese Wertevorstellungen - und Menschen, die sich daran gehalten haben - war es möglich, dass der Kapitalimus einen Boden hatte, auf dem er gedeihen konnte. Denn die Maschinen wären wohl kaum gelaufen, wenn nicht jeden Tag um 4 Uhr fleissige, sparsame und produktive Menschen die Arbeit vollrichtet hätten. Heute ist es immernoch ganz genauso. Der dicke Mensch als vermeintliches Zeichen von Genuss und Ruhe ist der natürliche Feind. Unproduktiv. Faul.
Ich bin Dick. Und das ist gut so.